Blog 9: Ohne Segelschiff zurück auf Madeira

Ich trinke einen Espresso, der im Stande wäre, Tote aufzuwecken. Dabei fühle ich mich gerade seehr lebendig. Na gut, vielleicht ein bisschen müde. Aber ansonsten geht’s mir ausgezeichnet, denn ich habe erneut dieses Kribbeln im Bauch, welches mich oft „überfällt“, wenn ich (allein) unterwegs bin und mir etwas Schönes passiert … etwas, was man als „Fügung“ bezeichnen könnte oder einfach eine nette menschliche Geste (von wem auch immer ausgesendet). Heute früh war es eine Gefühlsregung als ich beim Check-out im Hotel das Bedürfnis hatte, die Servicekraft zu umarmen und wir uns dann nicht nur einmal, sondern gleich mehrmals durchknuddelten. Und als ich hier am Flughafen mein Käffchen mit einem 50-Euroschein bezahlen wollte, konnte mir die Bedienung nicht rausgeben. Als ich anfing, meine Taschen nach einem Aldi-Euro zu durchsuchen, meinte der ältere Herr neben mir mit einem Schmunzeln im Gesicht: … es wäre ihm eine Ehre, mir den Kaffee zu bezahlen (aber trinken müsse ich ihn allein.) Solche Momente finde ich unglaublich bereichernd, sie sind für mich Momente des Glücks. Auch gestern gab es menschliche Begegnungen, die mich auf ganz besondere Weise beeindruckten und mich stundenlang schweben ließen. Ich hatte echt das Gefühl, Flügel zu haben.

Aber: Wie komme ich dazu, mich plötzlich aus Madeira zu melden? Antwort: Ich bin ganz plötzlich hierher gereist. Spontanität lässt grüßen.

Einer Einladung von meinem Freund John folgend, buchte ich kurzerhand einen Flug nach Funchal, um dort eine Woche mit ihm zusammen die hübsche Insel, die Sonne und das harmonische Miteinander zu genießen. Gleich am ersten Tag entführte mich John in eine Galerie, die wir vor zwei Jahren schon einmal besuchten als wir mit dem Segelboot mehrere Wochen Zwangsaufenthalt auf dieser Insel hatten (da das Wetter zu schlecht zum Weitersegeln war). Wer einmal nach Funchal reist, dem kann ich nur wärmstens empfehlen, in der Altstadt in diese Galerie abzubiegen. Mit offenem Mund bestaunten wir die Bilder und unser Vokabular reduzierte sich auf fundamentale Aah´s und Ooh´s. Da es erlaubt war, Fotos zu machen, knipsten wir alles, was uns vor die Linse kam. Johns Frage, welches seiner Favoritenbilder er kaufen solle, beantwortete ich mit: „Alle“! Dann wurde ich von einem Frauenporträt dermaßen gefesselt, dass ich Wurzeln schlug und meinte, den Rest des Winters dort verbringen zu wollen. Als eine sehr lebendige und super sympathische Frau neben mir auftauchte und ein Gespräch begann, fragte ich sie, ob der Künstler auch Aufträge entgegennimmt. Sie führte mich ins Atelier zum Meister, bei dessen Anblick ich meinte, eine Sonnenbrille aufsetzen zu müssen. Von seiner extremen Attraktivität mal abgesehen, ging von ihm ein Licht aus, welches man nur ganz selten bei Menschen zu sehen bekommt. Fast erleichtert stellte ich fest, dass der Mann verheiratet ist und auch nur russisch und portugiesisch spricht. Also concentration please! Simone (die Agentin) übersetzte. Kurz und gut. Ich gab ein Porträt in Auftrag. Da ich weder Platz noch Geld hatte, um mir ein großes zu leisten, sagte ich einfach: mein Kopf mit Ölfarbe auf ein Stück Leinwand gemalt und mit einem Schmetterling kombiniert, den Rest überlasse ich ihm. Und auch wenn ich nichts dagegen gehabt hätte, ihm Tag und Nacht Modell zu sitzen, kamen wir überein, dass ich ihm eine Fotovorlage geben sollte. Und wenn ich möchte, könne sein Nachbar (am nächsten Tag) ein Foto machen. Na, gerne doch! So lernte ich nach einer fast schlaflosen Nacht Jeroen kennen, ebenfalls ein extrem begnadeter Künstler, was den Umgang mit Farbe und Leinwand anbelangte. Unsere Fotosession dauerte bestimmt zwei Stunden. Aber irgendwann hatten wir ein brauchbares Bild auf dem Chip. Die nächsten drei Tage durfte ich mich in Vertrauen üben, sowohl am Tage als auch nachts. Mein Gefühl, dass Oleksandr ein absolut fantastisches Porträt von mir zeichnet, welches ich auch als Cover für mein Buch nutzen kann, wurde immer wieder von meinem Verstand beschimpft: „Mann Alte, du bist doch total durchgeknallt. So viel Penunse für etwas, was du dir noch nicht einmal in deinem Wohnmobil an die Wand hängen kannst, falls es als Cover unbrauchbar ist.“ Gott sei Dank war John voll auf der Seite meines Gefühls. Er ließ keinen Zweifel daran: Das Bild wird der Knaller! Und so trieben wir uns die nächsten Tage auf Madeira rum. Mal schlenderten wir durch Funchal, mal beteten wir die Sonne an, mal machten wir einen Ausflug mit dem Auto zu anderen Inselecken oder tanzten am Straßenrand (denn es war gerade Karneval). Und abends saß ich meistens vor dem Computer, um das eine oder andere zu recherchieren.

Bei unserem letzten Aufenthalt hier konnte ich mich nicht wirklich für diese Insel erwärmen (der Funke wollte einfach nicht überspringen). Aber dieses Mal war ich so begeistert, dass ich sogar einen längeren Aufenthalt im nächsten Winter in Erwägung zog. Denn das Preis-Leistungs-Verhältnis in dieser Frühstückspension „Residencial do vale“ war wirklich der Oberhammer! (Wer sich langfristig festlegen mag, kann Übernachtungspreise von 20 Euro aushandeln und bekommt im günstigsten Fall noch ein extrem tolles Frühstück dazu.) Aber nachdem wir an einem Tag mit vermeintlich schlechtem Wetter in die Berge fuhren und vor lauter Nebel die Straße nicht erkennen konnten, wurde es plötzlich hell und warm. Ja, über den Wolken scheint immer die Sonne!!! Mitten in der Pampa setzten wir uns in die Natur und ich wusste plötzlich mit Gewissheit: Nee, den Winter über in einer Stadt verbringen, kommt nicht in Frage. Das hier, das isses! Den Rest des Tages suchten John und ich nach einer Unterkunft in den Bergen, inmitten dieser grandiosen Natur, bei der wir beide sagen: „YES!“ Leider Fehlanzeige. Aber wer weiß … Falls John sein Segelboot nicht verkauft, könnte es glatt passieren, dass wir im nächsten Winter in einer der Marinas einchecken und es uns dort gut gehen lassen.

An unserem letzten Tag fuhren wir aufgeregt erneut zur Galerie. Vorsichtig linste ich um die Ecke. Schade, dass Oleksandr nicht da war … ich wäre ihn angesprungen … vor spontaner Freude … (was sonst)!!! Das Vertrauen war gerechtfertigt und meine Erwartungen wurden sogar übererfüllt. Denn Oleksandr hatte noch eine Überraschung für mich. Obwohl ich nur den Sparpreis bezahlt hatte, erstrahlte mein Porträt größer als vereinbart (und sogar gerahmt) von seiner Staffelei. Ich war überwältigt und freute mich gigantisch. Danke, danke, danke! Simone, seine nette Agentin, mit der ich mich inzwischen ein bisschen angefreundet hatte, und Bettina, eine interessante deutsche Künstlerin aus Berlin, sowie John … alle freuten sich mit mir. Den Freudentanz vollführten wir in Form einer erneuten Foto-Session. Beim Verpacken des Kunstwerkes ergaben sich Gespräche, die ich als Informationsmeilenstein bezeichnen könnte. Ich erhielt Tipps von unschätzbaren Wert und ich wurde ganz demütig. Mei, was für eine Begegnung! Danke ihr Lieben! Und ein ganz besonderes Dankeschön an John, der mir das alles ermöglicht hat.

 

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